Prof. Renate Ohr, Volkswirtschaftlerin und Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, gilt als Expertin für den Heimtiermarkt. In einer umfangreichen Studie hatte sie 2019 dargelegt, dass mit Haustieren in Deutschland jährlich rund 10,7 Mrd. Euro umgesetzt werden. Damit verbunden sind ca. 210.000 Vollzeitarbeitsplätze. Während des Lockdowns, bei dem die Menschen zu Hause bleiben müssen und das oft allein, liegt die Vermutung nahe, dass sich viele ein Haustier zulegen und der Heimtiermarkt hohe Gewinne erwirtschaftet. Ohr sieht dies jedoch differenzierter. Und sie hat eine andere Beobachtung gemacht, die mit der Corona-Pandemie im Zusammenhang steht: Es könnte eine „Generation Problemhund“ heranwachsen, weil die Hundeschulen fast überall geschlossen bleiben müssen.
„Genaue Zahlen zu den neuen tierischen Familienmitgliedern hat zurzeit wohl niemand“, meint die Volkswirtschaftlerin. Sie vermutet jedoch, dass gerade viele Kleintiere verkauft würden, weil die Kinder zuhause seien und Kaninchen, Meerschweinchen & Co schnell nachgezüchtet werden könnten. Wie schwierig es ist, überhaupt verlässliche Zahlen auf diesem Gebiet zu finden, zeigt sich zum Beispiel bei den Hunden auch darin, dass man nicht einfach auf die Zahl der steuerlich gemeldeten Hunde vertrauen kann. „Es werden nur gut die Hälfte der Hunde gemeldet“ weiß Ohr. Besonders dann, wenn die Leute zwei oder mehrere Hunde hätten, mogelten sich die Besitzer gern um die Steuer herum. Doch spreche einiges dafür, dass sich die Menschen gerade jetzt einen Hund anschafften: die Aussagen von Züchter*innen, denen zufolge es viele Anfragen gebe, die Suchanzeigen bzw. die geringen Verkaufsangebote bei Ebay-Kleinanzeigen, der illegale Handel mit Welpen aus Osteuropa und die leergefegten Tierheime.
Wenn sie alle Sparten berücksichtigt, die den jährlichen Umsatz auf dem Tiermarkt ausmachen, geht die Wirtschaftswissenschaftlerin aber eher nicht davon aus, dass der Markt insgesamt deutlich gewachsen ist. „Die Ausgaben für Leinen, Körbchen, Käfige, Kratzbäume, Futternäpfe, Spielzeug und ähnliches – also für die Erstausstattung – sind allerdings sicher gestiegen“, sagt sie. „Die Kleintiere, wie Hamster oder Meerschweinchen machen dagegen nur einen geringen Umsatzanteil aus. Geht es um die größeren Heimtiere, so haben sich in den vergangenen Wochen wahrscheinlich vor allem jene Tierhalter*innen etwa für einen Hund entschieden, die sich schon länger mit dem Gedanken tragen“, vermutet sie. Das wären dann vorgezogene Käufe und in Zukunft würden entsprechend weniger Tiere angeschafft.
Schaut man sich das Angebot der größeren Tierheime an, kann man schnell feststellen, dass nur noch die schwierigen Vierbeiner verfügbar sind, was solche Angaben wie „an Hundeerfahrene abzugeben“, „nicht an Haushalte mit Kindern“ und „mit Maulkorb“ nahelegen. Daraus jedoch zu folgern, dass es den Tierheimen, die sich unter anderem über Vermittlungsprovisionen finanzierten, gut geht, wäre zu kurz gedacht. „Die Tiere in den Heimen werden oft von privaten Tierschützer*innen aus Süd- und Osteuropa hergeholt, aber da es kaum noch Reisen gibt, ist auch dieser Markt eingebrochen“, erläutert Ohr.
Von der eingeschränkten Reisetätigkeit sind auch Tierpensionen betroffen. „Wenn die Leute nicht in den Urlaub fahren, brauchen sie niemanden, der sich um die Hunde oder Katzen kümmert“, gibt sie zu bedenken. Mit starken finanziellen Einbußen haben zudem die Hundetrainer*innen zu kämpfen. Fast in allen Bundesländern waren wegen Corona lange Zeit weder Gruppen- noch Einzeltraining erlaubt, obwohl beides an der frischen Luft stattfinden könnte – eine Entscheidung, die Ohr nicht nachvollziehen kann. Von einigen Trainer*innen hat sie außerdem erfahren, dass es viele Anfragen von Leuten gebe, die händeringend um Unterstützung bäten, weil sie mit ihren Hunden nicht klarkämen. Auch Videoangebote leisteten da nur wenig Abhilfe. Die Trainer*innen äußerten daher schon die Sorge, dass infolge von Corona viele verhaltensauffällige Hunde heranwachsen würden.
Trotzdem hat die Volkswirtschaftlerin für alle, die sich in dieser Zeit den Wunsch nach einem Haustier erfüllen, viel Verständnis. Wie sehr ein solches das Leben bereichern kann, weiß sie als Besitzerin eines Boxers aus eigener Erfahrung. Außerdem hat sie es in ihrer Heimtierstudie belegt, für die über 5000 Hunde- und Katzenhalter befragt wurden. Die Antworten haben gezeigt, dass insbesondere Hunde und Katzen zwischenmenschliche soziale Kontakte fördern und zur physischen und psychischen Gesundheit ihrer Besitzer*innen beitragen.