Das Accouchierhaus

Das Accouchierhaus am noch nicht niedergelegten Wall. Bild: Städtisches Museum Göttingen

Mütter in Not, Konzerte berühmter Komponist*innen, eine Herberge für Gemälde, Musikinstrumente und Verwundete – die Geschichte des Accouchierhauses könnte kaum vielfältiger sein.

Der Name Accouchierhaus kommt von dem französichen „accoucher“ und heißt entbinden, entsprechend der ursprünglichen Nutzung des Gebäudes als Entbindungsklinik. Bereits 1751 gründete die Georg-August-Universität die erste Frauenklinik im deutschen Sprachraum. Deren Räumlichkeiten befanden sich anfangs im Armenhospital St. Crucius am Geismartor und erhielten mit dem Accouchierhaus im Jahr 1791 einen großzügig bemessenen Neubau, von Georg Christoph Lichtenberg sogar als „Akkouchier-Palast“ betitelt. Die Zimmer wurden möglichst hoch und geräumig angelegt, um „eingeschlossene, unreine Dünste“ zu vermeiden, die nach damaliger Überzeugung Krankheiten verursachten.

Finanziert wurde der Bau durch die königlich-hannoversche Regierung, die die hohe Sterblichkeitsrate von Müttern und Neugeborenen senken, vor allem aber auch eine wissenschaftlich fundierte Geburtshilfe fördern wollte. Den Schwangeren, zumeist mittellose, unverheiratete Mägde und Dienstmädchen der unteren Gesellschaftsschichten, bot sich damit die Möglichkeit einer Entbindung unter hygienisch-medizinisch verbesserten Bedingungen. Allerdings mussten sie sich bereit erklären, den Ärzten und Hebammen als lebendiges Anschauungs- und Übungsobjekt zur Verfügung zu stehen – eine unbeliebte und nur aus Mangel an Alternativen erduldete Verpflichtung. Solch eine praxisnahe Ausbildung war damals ungewöhnlich und zog Studenten aus dem In- und Ausland an die Georg-August-Universität.

Neben der Medizin wurde das Accouchierhaus auch zu einem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens in Göttingen: Der damalige Direktor Eduard von Siebold, der mit seiner Familie ab 1833 im obersten Stockwerk des Gebäudes lebte, musizierte dort regelmäßig mit Freunden und Gästen. Unter ihnen waren der Geigenvirtuose Joseph Joachim, Clara Schumann und Johannes Brahms.

Nach über hundert Jahren Nutzung genügte das Gebäude nicht mehr den Ansprüchen der modernisierten Medizin und die Frauenklinik zog 1896 in einen Neubau an der Humboldtallee 19. Anschließend wurde das frei gewordene Gebäude von der Universität für ihre Gemäldesammlung, als Seminargebäude und zur Beherbergung diverser Institute verwendet. Im Sinne seiner Erbauung als Klinik wurde es ein weiteres Mal während des zweiten Weltkrieg vom Roten Kreuz genutzt.

Wegen akuter Einsturzgefahr musste das Gebäude 1985 innerhalb von nur zwei Wochen evakuiert werden. Grund dafür war das Gewicht der Musikinstrumentensammlung welche mit fast 2000 Objekten 14 Räume beanspruchte. In den folgenden Jahren wurde das Haus saniert und die ursprüngliche Architektur rekonstruiert. Seit 1988 wird das Accouchierhaus ausschließlich vom Musikwissenschaftlichen Seminar belegt.

Weitere Informationen und Abbildungen zum Accouchierhaus gibt es in einer digitalen Broschüre.

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