Zweite Amtszeit im Deutschen Ethikrat

Die Mitglieder des Deutschen Ethikrates während ihrer ersten Sitzung in neuer Besetzung am 28. Mai 2020 in Berlin. Foto: Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen

Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Volker Lipp von der Universität Göttingen ist für eine zweite Amtszeit in den Deutschen Ethikrat berufen worden. Er gehört damit für weitere vier Jahre zum engsten Kreis der wissenschaftlichen Berater von Bundesregierung und Bundestag in ethischen Grundsatzfragen. Wir haben mit ihm über die Auftaktsitzung sowie aktuelle und künftige Themen gesprochen.

Der Deutsche Ethikrat hat sich Ende April 2020 neu formiert. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat Sie für eine zweite Amtszeit wiederberufen. Welche Aufgaben stehen nun vor Ihnen?

Mit jeder neuen Amtsperiode wird der Ethikrat auch personell neu zusammengesetzt. Wir haben elf neue Mitglieder bekommen, 13 waren schon in der vergangenen Amtszeit mit dabei. Deshalb dient die erste Sitzung in der Regel dazu, sich gegenseitig kennenzulernen, sich mit der Arbeitsweise des Ethikrats vertraut zu machen und den vierköpfigen Vorstand zu wählen. Ich wurde dabei wieder zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Der Ethikrat wurde 2008 auf Grundlage des Ethikratsgesetzes gegründet, um eine Art moralischen Kompass für die Gesellschaft sowie Hilfestellungen für die Politik zu entwickeln. Im Fokus stehen ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen, die das gesellschaftliche Leben prägen. Schäuble brachte unsere Aufgabe bei der ersten Sitzung am 28. Mai auf den Punkt, als er sagte: „Wir brauchen Politikberatung durch die Wissenschaft und eine ethisch fundierte Debatte.“

Ihre zweite Amtszeit beginnt mitten in der Corona-Pandemie – einer Zeit, in der Öffentlichkeit und Medien oft sehr engagiert politische und moralische Grundsatzfragen diskutieren. Welche Rolle spielte das Thema Corona auf dieser ersten Sitzung?

Mit dem Thema Corona haben wir uns bereits im März dieses Jahres beschäftigt, damals noch in der alten Besetzung. In unserer Stellungnahme zu „Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise“ ging es unter anderem um die Kapazitäten in deutschen Krankenhäusern, genauer um die Verteilung von knappen Ressourcen für die Behandlung im Falle eines Kapazitätenmangels, also die sogenannte „Triage“. Aber auch darum, Orientierungen für die schwierigen Abwägungen aufzuzeigen, die für den Übergang vom „Lockdown“ zu einer schrittweisen Normalisierung anzustellen sind.

Schon vor unserer ersten Sitzung hatte uns Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gebeten, dass wir uns mit der möglichen Einführung eines Immunitätsausweises für Sars-CoV-2 beschäftigen. Eine solche Bitte vonseiten der Bundesregierung ist zwar möglich, aber doch ziemlich ungewöhnlich. Spahn wollte einen solchen Immunitätsausweis in das Pandemiegesetz der Bundesregierung schreiben– gedacht für alle, die Covid-19 hatten, als immun gelten und deshalb von Einschränkungen ausgenommen werden könnten. Nach vielfacher Kritik zog er den Vorschlag dann vorerst zurück und bat den Ethikrat um eine Einschätzung.

Damit stehen wir gleich zu Beginn vor einer sehr anspruchsvollen Aufgabe. Die Diskussion über einen solchen Immunitätsausweis ist komplex. Das reicht von den vielen ungeklärten Fragen bei den biologisch-medizinischen Grundlagen und dem Aussagewert eines solchen Ausweises, über den Anreiz, sich anzustecken, um danach als immun zu gelten, bis hin zur Frage, ob ein solcher Ausweis diskriminierend oder stigmatisierend ist. Hinzu kommt die große öffentliche Aufmerksamkeit, die ja bereits zu einem schrillen, lauten und aufgeregten Schlagabtausch in der Netzöffentlichkeit geführt hat. Da es uns gerade bei diesem Thema sehr wichtig erscheint, die Argumente ruhig und interdisziplinär abzuwägen und zu klären, haben wir beschlossen, uns damit zu befassen. Wir wollen noch vor der Sommerpause eine Stellungnahme dazu vorlegen.

Gibt es bereits weitere konkrete Fragen oder Punkte, mit denen sich der Ethikrat jetzt genauer beschäftigt?

Wir haben mit der weiteren Arbeitsplanung begonnen, die Themen allerdings noch nicht abschließend besprochen. Vor allem aufgrund der gegenwärtigen Pandemiesituation und den geltenden Kontaktbeschränkungen ist unklar, welche öffentlichen Veranstaltungen der Ethikrat in diesem und im kommenden Jahr organisieren kann und wenn ja, in welcher Form diese stattfinden können. Sicher ist jetzt schon, dass die bereits weitgehend geplante Jahrestagung in diesem Jahr ausfallen muss. Dementsprechend ist auch der weitere Arbeitsplan mit vielen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet.

Einig sind wir uns im Ethikrat aber, dass wir das Thema „Suizid“ bearbeiten wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar 2020 das strafrechtliche Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Es gebe ein Grundrecht auf Selbsttötung, und das umfasse auch das Recht, Hilfe von Dritten in Anspruch zu nehmen, erklärte das Gericht damals. Dieses Urteil wirft zum einen zahlreiche rechtliche, ethische und medizinische Fragen auf, zwingt aber zum anderen auch zur Reflexion darüber, wie wir mit Todeswunsch und Suizid in unserer Gesellschaft umgehen wollen. Der Ethikrat hat dazu bereits eine Arbeitsgruppe gegründet, die jetzt Möglichkeiten sondiert, das Thema anzugehen.

Prof. Dr. Volker Lipp, Foto: Universität Göttingen
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