Studieren war lange Zeit eine reine Männersache. Das änderte sich in Preußen zum Wintersemester 1908/1909 – ab dann durften sich auch Frauen an einer Universität immatrikulieren. An der Universität Göttingen schrieben sich bis einschließlich Sommersemester 1914 insgesamt 721 Frauen für ein Studium ein. Wer waren sie? Das haben sieben Studierende im Rahmen eines Seminars am Institut für Historische Landesforschung recherchiert.
Zunächst erfassten sie Daten aus Personalverzeichnissen, Matrikelbüchern, Vorlesungsverzeichnissen und Zeugnissen jener Zeit. Zur anschließenden Auswertung kamen Recherchen zu Hintergründen und Zusammenhängen hinzu. So ist ein Überblick entstanden, der weit über ein reines Zahlenwerk hinausgeht und auch verdeutlicht, wie die Studierenden ihre Schlüsse aus den nicht immer eindeutigen Quellen gezogen haben. Das Ergebnis ist hier zu finden.
Wer waren also die ersten Studentinnen? Die meisten der Frauen – in der Regel unverheiratet und aus gut situiertem Hause – schrieben sich für Studiengänge der Philosophischen Fakultät ein: Ein Viertel von ihnen wählte Neuere Sprachen oder Deutsche Philologie, gefolgt von Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte. So auch Edith Stein, die ab 1913 Germanistik, Geschichte und vor allem Philosophie studierte.
In der Studiengangswahl spiegeln sich gesellschaftliche Rollenbilder, wie der Bericht zeigt. Viele nutzten das Studium, um ihr Allgemeinwissen zu erweitern oder weil sie Lehrerin werden wollten. Die wenigen Studentinnen adliger Herkunft sollten zwar gebildet sein, aber nur in solchen Dingen, „die sie für Männer attraktiv machten“. An der Medizinischen Fakultät gab es zudem Vorbehalte, ob Frauen für ein Medizinstudium und als Ärztin überhaupt geeignet seien.
Die heutigen Studierenden haben aus den Quellen viel Neues ausgegraben. Beispielsweise war es damals üblich, jedes Semester umzuziehen. So tat es auch die Physik-Studentin Marie Lewitzki: Ihre Adressen wechselten von Lotzestraße 32 über Walkemühlenweg 10 und Marienstraße 1 bis zu Geismar Landstraße 25b. Überraschend ist auch, dass die ersten drei Studentinnen aus dem Ausland alle aus den USA an die Uni Göttingen kamen.
Weniger überraschend dagegen ist, dass die Zahlenanalyse die politische Lage widerspiegelt. So heißt es in dem Bericht: „Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs sank die Anzahl internationaler Studentinnen schlagartig von zwölf im Sommersemester 1914 auf drei im Wintersemester 1914/1915. Die Anzahl erholte sich auch nach Ende des Kriegs nicht wieder.“
Das Projektseminar zum Frauenstudium war Teil des „Catalogus Universitatis“-Vorhabens am Institut für Historische Landesforschung. Ziel ist es, nach und nach alle Personen der Universität Göttingen im Zeitraum 1734 bis heute zu erfassen und die Ergebnisse online zur Verfügung zu stellen. Mehr zum Catalogus-Vorhaben und den ersten Ergebnissen gibt es hier.
Unseren Blog-Beitrag zu Edith Stein in Göttingen finden Sie hier.