Wenn Lebensräume für Tiere und Pflanzen verschwinden, ihre Lebensgemeinschaften sich ändern und ihre Populationen schrumpfen, dann spricht man von einer Biodiversitätskrise. Die Konsequenz: Ökosysteme verändern sich in ihrer Funktionsweise, häufig zum Negativen. Wie steht es um die biologische Vielfalt und wie können wir sie schützen? Diese Fragen untersuchten Forschende in dem Projekt „Faktencheck Artenvielfalt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Über 150 Autor*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen haben an dem nun vorliegenden Bericht mitgeschrieben. Eine von ihnen ist Prof. Dr. Carola Paul, Leiterin der Abteilung Forstökonomie und nachhaltige Landnutzungsplanung der Universität Göttingen. Hier erklärt sie, warum sie sich als Forstökonomin mit der Biodiversitätskrise beschäftigt.
Frau Paul, Sie haben als Autorin unter anderem an dem Kapitel zum Lebensraum Wald mitgearbeitet. Durch menschliche Einflüsse sind viele spezialisierte Arten in ihren Beständen verringert oder gar ausgestorben. Wie lässt sich die Situation im Wald beschreiben und welche Ansätze gibt es, diese zu verbessern?
Der Faktencheck zeigt deutlich, dass die Vielfalt in allen untersuchten Lebensräumen abnimmt. Wertvolle Habitate gehen durch den menschlichen Einfluss auch weiter zurück. Das gilt auch für den Wald. Zwei Drittel der untersuchten Lebensraumtypen weist eine Gefährdung auf, allerdings ist diese sehr unterschiedlich hoch. Insbesondere seltenere Habitatstrukturen wie Auwälder, in denen Bäume an Gewässern wachsen, oder Moorwälder sind gefährdet. Dagegen weisen flächenmäßig bedeutsame Habitate, wie Buchenwälder positive Trends des Erhaltungszustandes auf. Positive Tendenzen lassen sich auch bei den Säugetieren und Waldvögeln erkennen. Dies zeigt, dass bei geeigneten Maßnahmen auch eine Erholung der Artenvielfalt eintreten kann. Eine wesentliche Erkenntnis war auch, dass die Holznutzung einen eher neutralen Effekt hat, da sie sowohl positiv als auch negativ wirken kann. Zudem scheint sich unter anderem die Erhöhung der Baumartenvielfalt und das Belassen von Totholz positiv auf die Artenvielfalt auszuwirken. Diese Maßnahmen werden bereits in großem Umfang in der Waldbewirtschaftung durchgeführt und sollten weiter ausgebaut und unterstützt werden.
Ökonomie verbindet man nicht direkt mit biologischer Vielfalt. Warum beschäftigen Sie sich als Forstökonomin mit der Artenvielfalt?
Artenvielfalt ist die Grundlage unseres Lebens. Sie hat zudem einen sehr hohen intrinsischen Wert für alle Menschen. Auch wenn nicht alle „Werte“ monetär beziffert werden, so beeinflussen sie doch unsere Entscheidungen. Diese sind vor dem Hintergrund knapper Ressourcen ja der Kern der Ökonomie. Daher ist auch Biodiversität ganz zentral für ökonomische Betrachtungen der Waldnutzung. Wir haben uns im Rahmen des Faktenchecks insbesondere mit den indirekten Treibern auf die Artenvielfalt im Wald beschäftigt. Das können technologische, markt-getriebene und gesellschaftliche Veränderungsprozesse sein. Es zeigt sich deutlich, dass wir die Zielkonflikte zwischen dem Schutz der Biodiversität auf der einen Seite und bereitstellender Ökosystemleistungen wie die Versorgung mit dem Rohstoff Holz oder die Regulierung des Klimas auf der anderen Seite noch nicht vollständig verstanden haben. Zur langfristigen Entwicklung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen werden auch finanzielle Anreize notwendig sein, um diese Zielkonflikte zu verringern. Hier schließt sich der Kreis zur Ökonomie.
Der Faktencheck will die Wichtigkeit des Artenschutzes aufzeigen. Was erhoffen Sie sich persönlich von dem Projekt?
Unser Ziel war es insbesondere, die Datengrundlage für Entscheidungen, wie Artenschutz effizient erreicht werden kann, zu verbessern. Entscheidungen sollten zielgerichtet stattfinden, aber natürlich mit möglichst geringen Kosten für die Landnutzer*innen auf der einen Seite, aber auch für die Gesellschaft auf der anderen Seite. Dabei sollten Zielkonflikte zwischen den vielfältigen Leistungen des Waldes für eine nachhaltige Lösung möglichst reduziert werden. Ich persönlich hoffe, dass die neue Datengrundlage diesen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess unterstützt und so manche sehr emotional geführte Debatte auch versachlicht. Zudem hoffe ich natürlich, dass die Studie die Bedeutung der kontinuierlichen Messungen und langfristigen Beobachtungen unterstützt. Nur so können wir wirklich verstehen, welche Maßnahmen unter welchen Umständen effektiv sind.