Digitaler Zwilling statt Zeitmaschine

Mit Sensordaten realer Bäume werden digitale Modelle gefüttert, so entsteht ein digitaler Zwilling. Abbildung: KI-generiert mittels DALL-E

Durch den Klimawandel verändern sich unsere Wälder. Wetterextreme oder die erhöhte Vermehrung von Schädlingen führen zum Absterben von Bäumen. Welche Baumarten können sich in Deutschland an die klimatischen Bedingungen anpassen und wie sieht der Wald der Zukunft aus? Damit beschäftigt sich Prof. Dr. Henrik Hartmann. Er hat eine Professur für Waldschutz an der Universität Göttingen zusammen mit dem Julius-Kühn-Institut.

Herr Hartmann, warum hat Waldschutz eine solch wichtige Bedeutung, auch in der Forschung?

Der Waldschutz soll Schäden vom Wald abhalten, also vor allem Veränderungen, die die Serviceleistungen des Waldes für uns Menschen beeinträchtigen. Die klimatische Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten hat viele dieser Schäden mit sich gebracht und weitere Schäden sind zu erwarten. Es gilt nun Strategien zu entwickeln, um den Wald der Zukunft resilienter gegenüber dem zu erwartenden Klima und den dadurch hervorgerufenen Schäden durch Insekten und Krankheiten zu machen. Das ist deswegen besonders anspruchsvoll, weil wir viele der dafür notwendigen Kenntnisse im Moment nicht besitzen. Natürlich gab es auch schon vorher Forschung im Waldschutz und Waldbau, aber die nun auftretenden klimatischen Bedingungen stellen die Gültigkeit unserer Erkenntnisse in Frage. Noch vor wenigen Jahren dachten wir zum Beispiel, die Buche würde am Ende des Jahrhunderts den deutschen Wald dominieren. Das sehen wir nun ganz anders.

Die verschiedenen Baumarten kämpfen durch die klimatischen Veränderungen mit unterschiedlichen Herausforderungen. Welche Herausforderungen gibt es und mit welchen Modellen versuchen Sie in der Forschung, die Baumarten der Zukunft zu finden?

Ganz besonders offensichtlich sind die Probleme bei der Fichte, hervorgerufen durch den Borkenkäfer. Für die Fichte sind heißes und trockenes Klima zusammen mit Dürreperioden keine guten Bedingungen für gesundes Gedeihen. Sie wird durch Hitze und Dürre geschwächt, während der Borkenkäfer durch höhere Temperaturen in seiner Entwicklung begünstigt wird. Das führt dann zu Massenvermehrungen, bei denen schließlich auch ganz vitale, also nicht gestresste Fichten durch Borkenkäfer getötet werden.

Leider kommen ähnliche Entwicklungen auch bei anderen Baumarten vor. Vielleicht ist dies noch nicht ganz so deutlich, aber ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Arten flächig ausfallen. Schon jetzt sehen wir klima-bedingte Vitalitätsverluste: Zum Beispiel unter der Einwirkung von Insekten und Krankheiten bei der Buche und auch bei der Eiche. Das Triebsterben bei der Esche hat enorm viele Bäume zum Absterben gebracht und die Russrindenkrankheit beim Ahorn greift immer stärker um sich. In all diesen Fällen gilt ebenfalls die Regel, dass der Klimawandel zu Stress in Bäumen führt. Er schwächt sie, sodass sie schließlich wenig Abwehr gegen Insekten und Krankheiten leisten können.

Schon jetzt kämpfen die unterschiedlichen Baumarten mit den Folgen des Klimawandels, wie hier die absterbenden Buchen. Foto: Henrik Hartmann/Olaf Kolle

Unser Ziel ist es, den Wald so aufzustellen, dass die darin wachsenden Bäume besser mit den zukünftigen klimatischen Bedingungen klarkommen. Ein vitaler Baum kann sich besser gegen Angriffe wehren. Hierzu werden wir auf Vegetationsmodelle zurückgreifen müssen, denn wir haben ja keine Zeitmaschine. Diese Modelle müssen aber noch fit gemacht werden. Im Moment sind sie noch nicht in der Lage, die Reaktion von Bäumen bei Extremereignissen realistisch zu simulieren. Dazu müssen wir die Modelle mit mehr Daten füttern, also Bäume mit Sensoren ausstatten, um somit einen direkten Datenstrom zwischen realem Wald und Computer-Modell zu generieren. Wir werden diese Digitalen Zwillinge also von der echten Welt lernen lassen, um sie realistischer zu machen. So werden unsere Prognosen auch robuster.

Ein großes Problem dabei bleibt aber die Unsicherheit in Bezug auf das künftige Klima. Das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, werden wir sicher reißen, aber wo landen wir am Ende des Jahrhunderts? Wir müssen also mit dieser Unsicherheit umgehen und den Wald vielfältig gestalten, damit am Ende unsere Kinder und Enkel hoffentlich einige dieser Versuche als vitalen Wald wiederfinden.

Ihr Motto ist „gestalten statt erhalten“ – wie könnten Wälder in Zukunft in Deutschland aussehen?

Das ist eine schwierige Frage. Klar ist, dass der Wald sich stark verändern muss, um zu bestehen. Unsere Buchen und Eichen sind ja nicht hier, weil sie uns so gerne mögen, sondern weil das Klima in Deutschland und Mitteleuropa für sie geeignet war. Wenn dies nun nicht mehr der Fall ist, werden sie sich anpassen müssen. Ich denke nicht, dass wir hier weiterhin 35 Meter hohe Hallenwälder, also Wälder mit alten, hohen Bäumen, die ein geschlossenes Kronendach bilden und kaum Licht für Unterwuchs lassen, halten können. Die Bestände werden dann niedriger und offener. Gestalten kann vieles bedeuten. So ist es sicherlich wichtig, die Wälder so strukturreich wie möglich zu gestalten. Durch Strukturreichtum entsteht ein günstiges Waldinnenklima, was den Selbsterhalt von Beständen fördert. Perspektivisch kann das aber auch bedeuten, dass wir eine Verschiebung der Baumartenpalette akzeptieren und Arten einbringen müssen, die bisher hier nicht heimisch sind. Ökologisch gesehen ist der Begriff „heimisch“ eh unsinnig.

Wir Menschen halten lieber an Gewohntem fest, an dem was wir kennen und mögen, als uns auf Neues einzulassen und Veränderungen als Chance zu sehen. Wenn wir mit allen Mitteln an dem festhalten wollen, was wir liebgewonnen haben, werden wir viel Energie aufwenden müssen, um dann schließlich irgendwann doch dem neuen Klima nachgeben zu müssen. Wie wir diese Veränderung gestalten, muss die Gesellschaft festlegen. Dabei muss sie die verschiedenen Ökosystemdienstleistungen gegeneinander aufwiegen, um zu einer geeigneten Gestaltungslösung zu kommen. Wir Forschende können dafür Erkenntnisse liefern, entscheiden können wir das nicht.

Prof. Dr. Henrik Hartmann – Foto: Johannes Kaufmann/JKI
More from Anne Mareike Keßler