Der Göttinger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Philipp Reuß ist einer der Preisträger beim Wissenschaftspreis Niedersachsen 2023: Er erhielt den mit 25.000 Euro dotierten Lehrpreis. In der Begründung der Jury heißt es, Reuß zeichne sich durch didaktisch hervorragende Lehrveranstaltungen und die Entwicklung innovativer und neuer Lehrkonzepte und -methoden aus. Wir haben bei ihm nachgefragt.
Herr Reuß, was ist ihr Leitmotiv in der Lehre?
Mein Anspruch ist es, Studierenden das Fach Rechtswissenschaften möglichst lebendig, anschaulich und interaktiv zu vermitteln. Die Begeisterung für dieses tolle Fach soll überspringen. Wenn das gelingt und die Studierenden mit Neugierde und Freude dabei sind, bin ich zufrieden.
Ein Beispiel ist Ihr digitales Fallbuch „FALLi“. Was ist die Idee hinter diesem Konzept und wie unterscheidet sich FALLi von klassischen Falllösungen im Jura-Studium?
FALLi ist ein Instrument meines umfassenden Lehrkonzepts. Die Idee dahinter ist eine ganzheitliche Vernetzung der Lehr- und Lerninstrumente in meiner Anfängervorlesung (Grundkurs Zivilrecht). FALLi ist eine als App konzipierte Lernplattform, wo Studierende endgeräteunabhängig und durch viele Blended-Learning-Elemente unterstützt das in der Vorlesung erlernte abstrakte Wissen an einem konkreten Fall üben können.
Immer dort, wo es didaktisch passt, haben wir in FALLi beispielsweise kleine Lernvideos, Schemata, Vorlesungsfolien oder gar die Videocasts der gesamten Vorlesungseinheit zu einem Themenkomplex integriert, um den Lernprozess zu unterstützen. Studierende können beispielsweise in der Bearbeitung eines konkreten Falls nochmals auf die Vorlesungsinhalte zugreifen, um ein Thema an der passenden Stelle im Fall zu wiederholen. Auch alternative Lösungswege lassen sich über eine Funktion einblenden, so dass Studierende sehen, wohin sich eine Falllösung entwickelt, wenn sie sich an einer Weichenstellung für die ein oder andere Ansicht entscheiden. Das schult klausurtaktisches Denken und stärkt das Systemverständnis. Mit all diesen Elementen geht FALLi weit über das hinaus, was wir in klassischen Fallbüchern bislang sehen.
Sie setzen sich unter anderem für die Modernisierung des Jura-Studiums ein. Was ist Ihrer Ansicht nach am dringendsten?
Als Studiendekan liegt mir die Modernisierung des Jurastudiums natürlich besonders am Herzen. Es gibt vielerlei Aspekte, die im Reformprozess diskutiert werden. An der Juristischen Fakultät in Göttingen und auf Landesebene arbeiten wir gerade mit Nachdruck daran, einen in das Jurastudium integrierten Bachelor-Abschluss (integrierter LL.B.) einzuführen. Damit verfolgen wir zwei Ziele:
Erstens möchten wir auch Studierenden ein nachhaltiges Angebot machen, die auf ihrem Berufsweg intensiv ein Jurastudium durchlaufen möchten, jedoch keinen klassischen, an das Staatsexamen gebundenen juristischen Beruf wie Richter, Staatsanwalt oder Anwalt anstreben. Befragungen bei potentiellen Arbeitgebern, die wir mit der Fakultät durchgeführt haben, haben gezeigt, dass ein großer Markt für Absolvent*innen eines solchen LL.B.-Studiums besteht, zum Beispiel in der Legal Tech-Branche, bei Kanzleien im Back Office, im Accounting-Bereich, bei Unternehmensberatungen oder in der Versicherungsbranche. Auch in der Verwaltung gibt es Stellen.
Zweitens wollen wir die erfolgreich auf dem Weg zum Staatsexamen erbrachten Studienleistungen von Studierenden honorieren, die zwar das juristische Studium an der Universität erfolgreich durchlaufen haben, die jedoch endgültig am Staatsexamen scheitern. Derzeit fallen die nach vier bis fünf Jahren Studium erfolgreich erbrachten Studienleistungen letztlich unter den Tisch und sind damit faktisch wertlos. Das kann nicht sein. Der LL.B. bietet auch hier eine Lösung und gewährt diesen Personen einen universitären Studienabschluss für ihre im Studium erbrachten Leistungen.
Anmerkung: Der Text ist eine am Ende leicht gekürzte Fassung eines Interviews, das zuerst in der campus|inform Januar 2024 (Seite 3) erschienen ist. Die Ausgabe finden Sie online unter www.uni-goettingen.de/uniinform .