Arbeit im Wandel

Die Folgen der fortschreitenden Digitalisierung unserer Arbeitswelt sind grundlegend. Sie betreffen die Inhalte von Arbeit ebenso wie Formen des Zusammenarbeitens oder auch Qualifikationsanforderungen. Hierüber sprechen wir mit Sarah Nies, Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Digitalisierung in der Arbeitswelt an der Universität Göttingen.

Es gibt kaum noch Arbeitsplätze, die gänzlich unberührt von Digitalisierung sind. Dennoch ist die Bandbreite von Veränderungen enorm groß. Was bezeichnet aus soziologischer Perspektive der Begriff Digitalisierung der Arbeitswelt?

Digitalisierung bedeutet ganz allgemein die informationstechnische Durchdringung aller gesellschaftlicher Sphären und so auch der Arbeitswelt. Im Einzelnen ist das nicht immer einfach zu fassen, weil der mit Digitalisierung verbundene Wandel nicht auf „die Technik“ allein zurückzuführen ist und sich immer im Rahmen längerfristiger Entwicklungstendenzen der Transformation von Arbeit bewegt. Ganz konkret sind mit der Digitalisierung heute so unterschiedlichen Dinge angesprochen wie die Ausweitung mobilen Arbeitens, die algorithmische Steuerung und Kontrolle von Arbeit etwa durch digitale Assistenzsysteme und selbstlernende Systeme und die fortschreitende Vernetzung auf Ebene transnationaler Wertschöpfungsprozesse. All das verändert nicht nur konkrete Arbeitsprozesse, sondern auch das Verhältnis von verschiedenen Erwerbsarbeits-, Reproduktionsarbeits- und anderen Lebenssphären. Aus soziologischer Perspektive geht es darum, welche gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Bedingungen die Entwicklung und Verbreitung digitaler Technik bedingen, welche Interessen und Strategien mit digitalen Technologien verbunden sind und wie die Aushandlungsprozesse und Aneignungsformen rund um ihre Anwendung gestaltet sind. In Bezug auf die Arbeitswelt beinhaltet dies, gegenwärtige Digitalisierungsprozesse im Kontext unternehmerischer Restrukturierungsprozesse und vermachteter Verhältnisse zu betrachten.

Welche Konflikte treten bei der digitalen Transformation von Arbeitsplätzen typischerweise auf?

Eine ganze Reihe. Zunächst tut sich eine große Kluft auf zwischen Digitalisierungserwartungen und der betrieblichen Realität. Ein grundsätzliches Problem ist hier die übersteigerte Erwartung an technische Problemlösung auf der einen und die Unterschätzung der Komplexität auch einfacher Arbeitsprozesse auf der anderen Seite. Das führt dazu, dass Unternehmen in Aussicht auf eine Allheillösung digitale Projekte im laufenden Prozess aufsetzen, ohne den „soziotechnischen“ Gesamtzusammenhang zu betrachten: Wie fügt sich die Veränderung in die gesamte Arbeitsorganisation, was bedeutet dies für die Zusammenarbeit, welche Qualifikationsbedarfe ergeben sich? Außerdem werden betriebliche Digitalisierungsprojekte häufig konzipiert, ohne die konkret betroffenen Beschäftigten einzubeziehen. Das Wissen und die Erfahrung der Beschäftigten im Hinblick auf Arbeitsprozesse werden für die Realisierung von Digitalisierungsprojekten immer noch gnadenlos unterschätzt. Mit der Folge, dass digitale Umsetzungen in der Praxis immer wieder scheitern oder sich als dysfunktional erweisen: Die Unternehmen kaufen Prototypen kollaborativer Robotik, die dann ungenutzt in der Ecke rumstehen; digitale Systeme werden von den Beschäftigten umgangen. Entgegen verbreiteten Vorurteilen ist es allerdings nicht so, dass Beschäftigte grundsätzlich Vorbehalte gegen Digitalisierungsprozesse hegen. In unserer empirischen Forschung wird vielmehr immer wieder deutlich, dass vermeintliche Veränderungsresistenzen dort, wo sie auftreten, auf handfeste Interessenkonflikte zurückzuführen sind. Eine große Herausforderung ist dabei interessenpolitisch, dass vorab nicht immer ersichtlich ist, welche Bedingungen einmal etablierte technische Systeme festschreiben.

Copyright: Klein und Neumann, Iserlohn / Uni Göttingen

Ihre Professur ist eine von elf Digitalisierungsprofessuren, die die Universität Göttingen gemeinsam mit der HAWK beim Land Niedersachsen einwerben konnten. Gleichzeitig ist sie die einzige mit gesellschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt. Gibt es besondere Strukturen zwischen diesen Professuren, die den interdisziplinären Austausch fördern?

Nicht im Speziellen. Aber das Campus Institut für Data Science (CIDAS) vernetzt alle Universitätsmitglieder, die sich im Bereich der Data Science bewegen. Insgesamt überwiegen auch hier die technischen Wissenschaften, es gibt allerdings eine Reihe von Kolleg*innen – etwa aus der Politikwissenschaft –, die hier schon länger auch sozialwissenschaftliche Perspektiven einbringen. Gerade für so eine Metastruktur erlebe ich das CIDAS bislang als sehr lebendig. In den interdisziplinären Vortragsreihen zeigen sich oft überraschende Bezugspunkte der verschiedenen Perspektiven. In meinem Fall haben sich hier auch schon tatsächlich konkrete Kooperationsideen angebahnt – ich gespannt, was da noch kommt!

(Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Portrait von Prof. Dr. Sarah Nies im Jahresbericht 2021. Der komplette Jahresbericht ist auf den Webseiten der Universität verfügbar, das vollständige Interview findet sich dort ab Seite 76.)

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