Die Fjord- und Inselzone der patagonischen Anden im Süden Chiles gibt Aufschluss über die Klimageschichte dieser Region. Prof. Dr. Gerhard Wörner hat das Gebiet über einen langen Zeitraum gemeinsam mit Kolleg*innen beforscht – und bei der Analyse der Fundstücke im Göttinger Labor überraschende Entdeckungen gemacht.
Sie haben mehrere Jahre in Patagonien das dortige Ökosystem erforscht. Was macht diese Region so spannend?
Wir hatten seit etwa 20 Jahren eine Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof Dr. Rolf Kilian von der Universität Trier, der das Forschungsprogramm in Patagonien initiiert hat, zu verschiedenen Forschungsthemen in der Fjordregion Süd-Patagoniens. Die Landschaft dort ist durch seine starke glaziale Überprägung durch die Eiszeiten, die tiefen Fjorde und einzigartige terrestrische Ökosysteme geprägt. Es gibt kaum einsamere Orte auf der Welt, und die starken Winde und extrem hohen Niederschläge sind eine große Herausforderung. Die Arbeit dort ist auch nicht ungefährlich – Rolf Kilian ist im Mai 2019 bei Geländearbeiten mit dem Kajak in Patagonien ums Leben gekommen. Die extremen Bedingungen sind vor allem geprägt durch den Westwindgürtel – starke Winde, die das Südpolarmeer um die Antarktis umrunden. Die durch tektonische Bewegungen herausgehobenen südpatagonischen Anden sind der südlichste und einzige Gebirgsgürtel, der in dieser Westwindzone liegt. Globale Klimaänderungen, Vulkanismus und die ungewöhnlichen Lebensbedingungen stehen hier in einer Wechselwirkung, die so nur in dieser Region erforscht werden kann.
Wie analysieren Sie das Material, welches Sie aus dem Gelände nach Göttingen ins Labor bringen?
Es gibt verschiedene „geologische Archive“, die die genannten Wechselwirkungen zeitlich dokumentieren können: geschichtete Sedimente vom Boden der Seen und Stalagmiten, also sehr langsam und Schicht für Schicht wachsende Kalkablagerungen in Höhlen. Kilian und der von uns gemeinsam betreute Doktorand, Björn Klaes, haben aus einer fast unzugänglichen Höhle mehrere Stalagmiten geborgen. Das Alter des von uns analysierten Stalagmits wurde in Heidelberg mit der Uran-Thorium-Methode auf 4650 ± 100 Jahre bestimmt. Dies sind die südlichsten, jemals gefundenen und analysierten Stalagmiten, die es gibt. Die chemischen Veränderungen in den Schichten des Stalagmits haben wir hier in Göttingen mit der Elektronen-Mikrosonde und der Laser-Ablations-ICPMS (inductively-coupled plasma mass spectrometry) mit tausenden Einzelanalysen dokumentiert. Die einzelnen Messpunkte haben dabei nur Bruchteile von Millimetern Durchmesser, und dies erlaubt uns Schicht für Schicht die genaue zeitliche Rekonstruktion der Umweltveränderungen in der Vergangenheit.
Was waren Ihre erstaunlichsten Erkenntnisse bei der Arbeit?
Die chemischen Signale im Stalagmiten zeigen erstmals den Zusammenhang zwischen verschiedenen Umweltfaktoren in dieser regenreichen Region. Wechselnde Klimabedingungen kontrollieren die Niederschlagsmengen, diese wiederum beeinflussen die chemischen Prozesse in den Böden Patagoniens. Wir konnten sogar die Spuren verschiedener Vulkanausbrüche in den Schichten des Stalagmiten identifizieren und datieren. Es zeigte sich, dass die Verwitterung der feinkörnigen vulkanischen Partikel unter den sauren Bedingungen der Böden den Eintrag chemischer Elemente in das Sickerwasser und damit in den Stalagmiten beeinflussen. Anhand dieser chemischen Signale konnten wir bestimmen, dass die Vulkanablagerungen die empfindlichen Ökosysteme über Jahrhunderte verändert haben.
Der erhöhte chemische Eintrag von Elementen in die nahe gelegenen Fjorde regt dort außerdem, praktisch als vulkanische „Düngung “, die Bioproduktion und damit die Speicherung von CO2 in den Sedimentschichten der tiefen Fjorde an. Es ist schon erstaunlich, wie eng alle diese Prozesse im Erdsystem miteinander verbunden sind. Das zu erforschen, darum geht es uns.