Edith Stein in Göttingen

Edith Stein im Jahr 1926 – Repro: Edith-Stein-Kreis Göttingen e.V.

Heute vor 130 Jahren wurde Edith Stein geboren. Die als katholische Ordensschwester jüdischer Herkunft in Erinnerung gebliebene Frau, die 1942 in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager ermordet wurde, hat an der Universität Göttingen studiert.

In Göttingen wird nur philosophiert – Tag und Nacht, beim Essen, auf der Straße, überall. Man spricht nur von „Phänomenen“: So beschrieb ein Freund Steins die Atmosphäre an unserer Universität. Die Phänomenologie als damals neue Richtung der Philosophie ist es dann auch, welche die 21-Jährige im Jahr 1913 von Breslau an die Georgia Augusta zieht. Ihre ersten Monate in Göttingen sieht sie später als „Anfang eines neuen Lebensabschnittes“.

Vier Semester studiert sie an der Universität Göttingen, neben Germanistik und Geschichte vor allem Philosophie bei Prof. Dr. Edmund Husserl, ihrem späteren Doktorvater. Sie wird in Husserls Seminar aufgenommen, schließt Freundschaft mit Privatdozent Dr. Adolf Reinach und wird Mitglied in der „Philosophischen Gesellschaft“, dem Diskussionskreis der Phänomenologen.

Zu Beginn jedes Semesters geht Stein in die Universitäts-Aula, um dort ihre Kolleggelder zu bezahlen. Im Wintersemester 1914 führt ihr Weg in diesem Gebäude jedoch auch in das Universitätsgefängnis, den Karzer. Hier besucht sie den Kanadier Winthrop P. Bell, den sie im Seminar von Husserl kennengelernt hatte.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird der Kanadier wegen angeblicher deutschfeindlicher Äußerungen in Schutzhaft genommen. Weil das Göttinger Polizeigefängnis für einen längeren Aufenthalt nicht geeignet ist, stellt die Universität den Karzer für den Doktoranden zur Verfügung. Bell verewigt sich mit einer Schnitzerei in der Holztür seiner Zelle. Ende 1914 wird er von der Universität verwiesen, kommt in Hannover ins Gefängnis und wird später bis Kriegsende nahe Berlin interniert.

Edith Stein legt im Januar 1915 ihr Staatsexamen für den höheren Schuldienst mit Auszeichnung ab. Ein Jahr später folgt sie ihrem Doktorvater nach Freiburg, wo sie ihre Promotion beendet. In der Folgezeit kommt die Philosophin wiederholt in das „liebe alte Göttingen“ zurück und bleibt auch in Briefen mit ihren Göttinger Kollegen in Kontakt. Im Herbst 1919 reicht Stein ihre Habilitationsschrift an der Georgia Augusta ein, die jedoch – weil sie eine Frau ist – abgelehnt wird. Zum letzten Mal ist sie 1921 zu Besuch in Göttingen.

Göttinger Gedenktafel für Edith Stein am Haus Lange Geismarstraße 2 sowie die Schnitzerei Bells in der Holztür im Karzer der Universität – Fotos: Heike Ernestus

Ein Jahr später konvertiert die im jüdischen Glauben aufgewachsene Stein zum Katholizismus. Bis zum Berufsverbot 1933 arbeitet sie als Lehrerin und Dozentin und lebt im Kloster. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten tritt sie in den Karmel zu Köln-Lindenthal ein, flieht später in die Niederlande. Im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau wird sie 1942 ermordet. Edith Stein wird 1987 selig- und 1998 heiliggesprochen.

Neue Broschüre

In diesem Jahr ist eine neue Broschüre erschienen. Sie beschreibt detailliert Edith Steins Zeit in Göttingen, lädt zu einem Rundgang an Orte ein, wo sie lebte und studierte, und berichtet über Freunde und Begebenheiten, die ihren weiteren Lebensweg prägten. Von seiner persönlichen „Begegnung“ mit Edith Stein in Göttingen schreibt der Göttinger Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Heinrich Detering im Nachwort.

Beate Beckmann-Zöller und Mary Heidhus: „Das liebe alte Göttingen!“ Edith Steins Universitätsjahre – Begegnungen und Entscheidungen, Butzon & Bercker 2021, Broschur, 64 Seiten, ISBN 978-3-7666-2882-4, 7,95 Euro, https://www.butzon-bercker.de/de/buch/gemeinde-katechese-gottesdienst/das-liebe-alte-goettingen.html

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