Wie gelingt Digitalisierung in Krankenhaus und Flughafen? Unser Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Klumpp forscht aktuell gemeinsam mit Prof. Dr. Caroline Ruiner (Universität Hohenheim) im DFG-Projekt „ANDROMEDA“, welche Erfahrungen die Beschäftigten dieser beiden kritischen Infrastrukturbereiche mit digitalisierten Arbeitsprozessen machen.
Herr Klumpp, Corona beflügelt die Digitalisierung in vielen Bereichen. Was bedeutet das für die Infrastrukturen im Krankenhaus und im Flughafen?
Die Corona-Krise bedeutet in diesen beiden Bereichen erst einmal einen deutlichen Unterschied in der aktuellen Auslastung: Während Krankenhäuser stark überlastet sind und eigentlich kaum Zeit ist für Digitalisierungsinitiativen, stehen in Flughäfen aktuell viele Räder zumindest im Passagierverkehr still und man kämpft eher mit Kurzarbeit, Personalabbau und wirtschaftlichen Gefährdungslagen. Über den allgemeinen „Digitalisierungs-Push“ durch Corona in der Kommunikation hinaus stehen beide Organisationen aktuell vor besonderen Anforderungen, ihre Arbeitsprozesse möglichst kontaktlos zu gestalten – insbesondere die Handlungsfelder Testen und Impfen in Bezug auf Corona sind für beide Bereiche ja hochrelevant. Zusätzlich werden im Hintergrund langfristige Initiativen und Forschungsprogramme aufgesetzt, die Digitalisierungsentwicklungen umfassend fördern. Denn nicht nur im Bereich der Bildung, sondern eben auch im Gesundheitswesen und im Reiseverkehr hat die Corona-Situation ja auch plakativ hohe Rückstände in der Digitalisierung in Deutschland aufgezeigt.
Was genau erforschen Sie im DFG-Projekt „ANDROMEDA“ und auf welche Weise?
Wir untersuchen, wie Mitarbeitende in Krankenhäusern und Flughäfen die Digitalisierung wahrnehmen, welche Autonomie- und Kontroll-Erfahrungen sie machen. Durch leitfadengestützte Interviews in spezifischen Berufsgruppen wollen wir herausfinden, in welcher Form derartige Wahrnehmungen der Beschäftigten die Zusammenarbeit und Arbeitsmotivation der wichtigen Expertenteams in diesen kritischen Infrastrukturbereichen beeinflussen. Unsere Forschung basiert auf dem sogenannten Autonomie-Kontroll-Paradox: Digitalisierungsprozesse können auf der einen Seite eine höhere Autonomie-Wahrnehmung mit sich bringen – unter anderem dadurch, dass Mitarbeitende Analysen und Entscheidungen mit Hilfe digitaler Tools dezentral selbständig ausführen können. Auf der anderen Seite kann – gleichzeitig – eine verstärkte Kontrollwahrnehmung durch mehr Transparenz der Arbeitsleistung hervorgerufen werden – alle Arbeitsschritte und Entscheidungen jedes Mitarbeitenden sind beispielsweise zunehmend digital dokumentiert. Die konkrete Ausprägung dieses komplexen Zusammenspiels bestimmt sehr stark, wie sehr Beschäftigte die digitalen Systeme akzeptieren und wie effektiv sie letztlich sind.
Jüngst wurde in den USA ein Wasserwerk gehackt – zum Glück wurde das erkannt, bevor die Bevölkerung einer Gefahr ausgesetzt wurde. Stößt Digitalisierung in sensiblen Bereichen auch an Grenzen?
Genau das steht im Zentrum unserer Forschungsarbeiten – welche besonderen Chancen, aber auch welche Risiken Digitalisierung in sensiblen Bereichen und Organisationen mit sich bringen. Dies beziehen wir in unserem Projekt verstärkt auf die Menschen als Akteur*innen in Krankenhäusern und Flughäfen – denn nicht nur von der Technik selbst, sondern insbesondere von der menschlichen Akzeptanz gehen besondere Risiken aus. Wenn auf der einen Seite also Pilot*innen oder Chirurg*innen nicht auf eingesetzte digitale Anwendungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz vertrauen, entstehen ebenfalls Gefahren für Passagiere und Patient*innen. Letztendlich können wir dem nur begegnen, indem die Organisation und besonders das Zusammenspiel von Mensch und Technik erforscht, analysiert und verbessert wird. Gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen darf es auf der anderen Seite aber auch niemals blindes Vertrauen oder eine übergroße Technikgläubigkeit geben – ein Mittelweg zwischen zu geringer Akzeptanz und zu großem Vertrauen bietet vermutlich die beste Chance auf sichere Prozesse in Krankenhäusern und Flughäfen sowie anderen Hochzuverlässigkeitsorganisationen. Dies muss auch in allen Kontexten von Digitalisierungsprozessen immer mitgedacht und gestaltet werden.