Ein Schiffbruch als Ende und Aufbruch: In dem Buch gehen die vier Autoren der Frage nach, inwieweit „das Zerbrechen der Schiffsplanken“ auch neue Räume eröffnet. Zu diesem Perspektivwechsel laden sie uns ein, indem sie uns den Schiffbruch in der Autobiografik der Frühen Neuzeit, in der literarischen Utopie der Frühaufklärung, in der Bild- und Kunstgeschichte sowie in Erzählungen der Moderne näherbringen. Zu den Autoren gehört Prof. Dr. Peter Burschel, Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und Professor für Kulturgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Göttingen.
Am Anfang war der Schiffbruch. So beginnt das Kapitel, in dem sich Burschel mit Johann Gottfried Schnabels „Wunderliche Fata einiger See-Fahrer“ auseinandersetzt. Eine spätere Bearbeitung dieser Robinsonade aus dem 18. Jahrhundert ist unter dem Titel „Insel Felsenburg“ bekannt. In gut 20 Erzählungen, die sich auf vier Bände verteilen, berichten die Gestrandeten von ihren jeweiligen Schiffbrüchen und der sich dynamisch entwickelnden Inselgemeinschaft.
Alle Havarie-Erzählungen hätten ein und dieselbe Dramaturgie, so Burschel: Dem Trotzen gegen Sturm und Regen folge ein Schwinden der Kräfte und schließlich das Loslassen. Dann helfe nur noch Gottvertrauen, um die Angst vor dem Tod zu überwinden, und die Überlebenden würden zu Auserwählten.
Vielfach werde der Schiffbruch in diesem Werk nur als „kleine Rahmenerzählung im Orchester der Biographien“ interpretiert. Burschel vertritt dagegen die These, dass der Schiffbruch „als Radikalisierung maritimen Transfers“ dazu einlädt, über das anthropologische Verhältnis von Erfahrungswirklichkeit (Welt) und utopischem Gemeinwesen (Insel) nachzudenken. Der Schiffbruch diene hier der Vermittlung des Übergangs zwischen Welt und Insel, „indem er – als erinnerungswürdiger narrativer Fluchtpunkt – dazu beiträgt, die Lebensgeschichten der Felsenburgerinnen und Felsenburger so zu strukturieren, dass der ,Übergang‘ vom nicht-utopischen zum utopischen Individuum glaubhaft wird. Der Schiffbruch beschleunigt dabei Prozesse der Vervollkommnung – oder gibt ihnen eine neue Richtung.“
Ohne Schiffbruch keine Utopie. Mit diesem Satz beschließt Burschel sein Kapitel.
Andreas Bähr, Peter Burschel, Jörg Trempler und Burkhardt Wolf: Untergang und neue Fahrt. Schiffbruch in der Neuzeit. Wallstein Verlag 2020, 186 Seiten, ISBN 978-3-8353-1704-8, 24,90 Euro, https://www.wallstein-verlag.de/9783835317048-untergang-und-neue-fahrt.html