Prof. Dr. Patrick Cramer ist Direktor der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Er konnte als erster die dreidimensionale Struktur des RNA-Polymerase-II-Enzyms aufklären. Die renommierte Fotokünstlerin Herlinde Koelbl hat ihn im Rahmen der Fotoserie „Faszination Wissenschaft“ porträtiert.
Für das Shooting sollten Sie die Essenz Ihrer Forschung auf Ihre Hand zeichnen. Was haben Sie ausgewählt und warum?
Es war gar nicht so einfach, auf die Schnelle zu überlegen, was die Essenz von vielen Jahren Arbeit ist. Ein Statement auf der Handinnenfläche wiegt auch schwerer als eine kleine Notiz auf einem gelben Post-it oder ein Tweet im weltweiten Rauschen des Internet. So habe ich „Pol II & friends“ auf meine Hand notiert. Mit „Pol II“ meine ich das Enzym RNA-Polymerase II, das eine zentrale Rolle im Leben aller eukaryontischen Zellen spielt. Die Pol II bewerkstelligt den ersten Schritt in der Expression unserer Gene. Es schreibt Gene ab und produziert dabei den Botenstoff RNA, der wiederum als Bauanleitung für Eiweiße, die Proteine, dient. Die Regulation der Pol II liegt der Entwicklung von Organismen ebenso zugrunde wie der Genregulation während vieler Prozesse wie etwa der Immunantwort. Mit Pol II habe ich mein halbes Leben verbracht. Als Postdoc in Stanford habe ich die erste 3-D-Struktur des Enzyms gelöst. Unsere Arbeitsgruppe hat dann in 14 Jahren in München und nun bereits in 6 Jahren hier in Göttingen herausgefunden, wie die Pol II mit Dutzenden von anderen Proteinen zusammenarbeitet, um die Genaktivität zu steuern. Daher habe ich „& friends“ angehängt. Das Enzym hat zum einen Freunde in der Nanowelt der Moleküle. Proteine sind nämlich sehr soziale Moleküle und lagern sich gerne zusammen. Zum anderen übt die Gen-Transkription von Pol II eine große Faszination auf uns und tausende weitere Forscherinnen und Forscher in aller Welt aus, die man auch als „Freunde“ dieses wundervollen molekularen Prozesses bezeichnen kann.
Wie lief das Shooting ab?
Frau Koelbl kam alleine, mit 25 Kilogramm Ausrüstung. Das Interview hat sie mit zwei Kameras mitgeschnitten. Mit Hilfe des Interviews hat sie sich mein Vertrauen erarbeitet. Danach war ich bereit, sie zum Fotografieren sehr dicht an mein Gesicht heranzulassen. Zunächst habe ich noch versucht, zu lächeln und aufrecht zu sitzen. Sie hat aber so lange Fotos gemacht, bis ich mich ganz entspannte und so die wahre Körpersprache zum Ausdruck kam. Wenn man ihre Bücher studiert, fällt auf, dass ihre Bilder von Menschen immer mehr als die Oberfläche präsentieren. Es war eine besondere Erfahrung für mich.
Was hat Sie an der Begegnung mit Frau Koelbl am meisten überrascht?
Frau Koelbl hat die Gabe, Bilder zu machen, die etwas vom Inneren der fotografierten Personen transportieren. Sie blickt hinter die Fassade. Sie blickt förmlich in die Seele. Sie hat in den vier bis fünf Jahrzehnten ihres Schaffens die unterschiedlichsten Menschen getroffen und kann faszinierende Geschichten erzählen. Frau Koelbl ist eine faszinierende Persönlichkeit und ich bin froh, dass ich sie kennenlernen konnte.
Informationen zu allen Porträtierten, darunter auch der Göttinger Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan Hell, sind unter https://www.bbaw.de/ausstellung-faszination-wissenschaft zu finden.