Neue Einsichten

Bild von Monoar Rahman Rony auf Pixabay

Prof. Dr. Tim Salditt und seine Mitarbeiter*innen vom Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen haben eine neue Methode entwickelt, mit der sie gemeinsam mit Pathologen der Medizinischen Hochschule Hannover die Lungengewebe verstorbener Covid-19-Patient*innen untersuchen und bei hoher Auflösung dreidimensional darstellen konnten. Die Studie soll in Kürze veröffentlicht werden.

Wie läuft die neuartige Untersuchung der Gewebeproben ab?
Mit dem Phasenkontrast-Röntgentomografie-Verfahren können wir die krankhaften Veränderungen in Gewebeproben untersuchen. Wir schauen uns dazu die Lungen von Menschen an, die auf Grund eines schweren Verlaufs der Covid-19-Krankheit verstorben sind. Dafür wird jeweils eine Gewebeprobe in einer Größe von etwa 4x4x4 Millimeter gescannt. Dann folgt eine sogenannte Zoom-Tomografie in bestimmten Regionen der Gewebeprobe, die wir mit einer speziellen von uns entwickelten Röntgenwellenleiteroptik durchleuchten können. Dazu haben wir ein Röntgenmikroskop konstruiert, das wir nun zusammen mit unseren Partnern am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg betreiben, weil dort mit großen Beschleunigern und Speicherringen hochbrillante Synchrotronstrahlung erzeugt werden kann.

Was ist der Vorteil der neuen Untersuchungsmethode?
Mit der neuen Technik kann die konventionelle Pathologie um eine dritte Dimension erweitert werden. Diese ermöglicht es, kleine Kapillaren, also Verzweigungen der Blut- und Lymphgefäße, und die Wände der Lungenbläschen dreidimensional darzustellen. Strukturelle Veränderungen des Gewebes durch die Covid-19-Krankheit, insbesondere der Blutgefäße mit zahlreichen Mikrothromben, der Verteilung der Immunzellen und ein sogenannter diffuser Schaden der Lungenbläschen lassen sich damit hochaufgelöst darstellen. Wir haben unsere neue Methode schon vor der Corona-Pandemie eingesetzt: zusammen mit Neuropatholog*innen der UMG, um Veränderungen im zentralen Nervensystem bei neurodegenerativen Erkrankungen zu untersuchen.

Welche Konsequenzen haben Mediziner*innen aus den Beobachtungen mittels der neuen Methode gezogen?
Erst die dreidimensionale Darstellung zeigt, wie stark bei manchen Patient*innen die Luftbläschen durch eine dicke Membran aus Proteinschleim bedeckt werden, und wie sich die Wände der Luftbläschen auf ein Vielfaches der normalen Werte verdicken. Mithilfe der rekonstruierten Geometrie könnte man jetzt zum Beispiel die Reduktion des Gasaustausches modellieren. Am spannendsten sind aber die Veränderungen der Blutgefäße. Mit Bildverarbeitung wollen wir die krankhaften Neubildungen und Aufspaltung von Blutgefäßen in den riesigen Datensätzen automatisiert erkennen. Weil uns dazu aber unter anderem auch Methoden fehlen, haben wir die Daten auch für andere Forscher*innen auf eine Datenbank gelegt. Insgesamt hoffen wir, dass die Aufklärung des Infektionsgeschehens und der zellulären Mechanismen in der Zelle die Entwicklung von Medikamenten erleichtert.  

Die Daten sind einsehbar unter https://zenodo.org/record/3892637#.XvW-GHvgpaQ
Eine Preprint-Version des Papers ist einsehbar unter https://doi.org/10.1101/2020.06.21.20134882

Schnitte durch das dreidimensionale Rekonstruktionsvolumen (links oben, grau) um ein Lungenbläschen mit Hyalinmembran (links unten, gelb), rechts eine Überblendung. Im Zentrum befindet sich das Luftbläschen (Alveole). Die Elektronendichte ist durch unterschiedliche Grautöne dargestellt. An der Innenseite des Luftbläschens schlägt sich eine Schicht aus Proteinen und abgestorbenen Zellenresten nieder, die sogenannte Hyalinmembran. Diese Ablagerung, die durch das neue Verfahren erstmals in ihrer dreidimensionalen Struktur dargestellt werden kann, reduziert den Gasaustausch und führt zu Atemnot.
Bild: Prof. Dr. Tim Salditt, Marina Eckermann
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