Prof. Dr. Timo Brockmeyer leitet seit 2018 die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf Patient*innen und Therapeut*innen hat.
Wie hat sich der Alltag für die Klinische Psychologie in Göttingen geändert?
Wir sind mit etwa 50 behandelnden Psychotherapeut*innen einer der größten Anbieter für ambulante Psychotherapie in Göttingen. Im Alltag bedeutet dies aktuell für uns, dass wir sehr genau auf den Infektionsschutz achten müssen. In diesem Zusammenhang haben wir verstärkt auf Videotherapien umgestellt. Zudem tragen wir Mund-Nasenschutz und Therapeut*in und Patient*in halten den Mindestabstand ein. Leider können wir unsere Patient*innen auch nicht mehr so gut im Wartezimmer empfangen und ihnen dort Getränke und Zeitschriften zur Verfügung stellen. Dies war zunächst für alle etwas ungewohnt, aber unsere Mitarbeiter*innen gehen sehr umsichtig mit der neuen Situation um und unsere Patient*innen lassen sich sehr flexibel und verständnisvoll auf die neuen Bedingungen ein.
Tauchen durch die Corona-Pandemie neue Beschwerdebilder bei den Patient*innen auf? Gibt es Beschwerden, die sich seit Beginn der Pandemie verstärken oder abschwächen?
Unsere Patient*innen reagieren sehr unterschiedlich auf die aktuelle Situation. Manche fühlen sich entlastet, da sie sich zum Beispiel von Sachzwängen oder Leistungsdruck befreit fühlen. Andere fühlen sich massiv belastet durch den Verlust von Alltagsstrukturen, sozialen Kontakten und Sicherheiten oder die Allgegenwärtigkeit von Themen wie Kontamination und Ansteckung. Neue Beschwerdebilder beobachten wir nicht, und wir können bisher auch keine „Trends“ ausmachen. Die Anmeldezahlen für Einzelpsychotherapien sind gleichbleibend hoch, sodass wir hierfür aktuell keine neuen Patient*innen aufnehmen können. Im Gegensatz dazu haben wir in unseren spezialisierten, zeitlich begrenzten Einzelbehandlungsangeboten für spezifische Angststörungen und Schlafstörungen und in unseren Gruppenbehandlungsangeboten zum Beispiel für Depressionen noch Behandlungsplätze frei.
Können Sie eine Therapie mittels Videochat oder Telefon empfehlen?
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen in Deutschland keine Telefontherapie zu. Anders ist dies bei der Videotherapie, die zumindest in begrenztem Umfang möglich ist. Diese können wir grundsätzlich empfehlen, da laut Wirksamkeitsforschung gute Erfolge damit erzielt werden können. Viele Therapeut*innen und Patient*innen finden es zunächst ungewohnt, sich nicht persönlich zu sehen, aber nach kurzer Zeit gewöhnt man sich in der Regel daran. Allerdings müssen auch die Rahmenbedingungen zu Hause ein störungsfreies Arbeiten ermöglichen. Es dürfen keine Familienmitglieder anwesend sein oder zuhören. Wir erleben es zum Beispiel, dass Partner*innen neugierig sind und an der Tür lauschen. Dies sind dann keine adäquaten Voraussetzungen für Videotherapie. Wir setzen sie daher nur dort ein, wo Behandler*in oder Patient*in nicht in den direkten Kontakt gehen können.